Mirsad Herenda
Es war einfach, Mirsads Atelier zu finden, denn sein Arbeitsplatz befindet sich in einem Industriegebiet. Als ich ankam, stand das große Eingangstor seines Ateliers offen. Drinnen sah ich große schwarze Metallbäume und Werkzeuge, aber ich konnte niemanden sehen. Also machte ich ein paar Fotos, bis plötzlich Mirsad erschien. Er führte mich in einen großen Raum, in dem anscheinend öfter Gäste empfangen werden. Hier wird gezeichnet, nachgedacht, Ideen gesammelt und gekocht wird. Später führte er mich in den hinteren Teil, wo es eine Galerie, einen Garten und eine kleine Bühne für Theater und Lesungen gibt. Mirsads Leben hat viele Wendungen genommen. Er erzählte mir bei unserem Treffen nicht nur von seiner Kunst und seinem Atelier, sondern auch von seiner Ankunft in Deutschland, nachdem er den Krieg in seinem Heimatland Bosnien miterlebt hatte.
Gab es in deiner Familie einen künstlerischen Hintegrund?
Meine Mutter hat sich immer Sorgen gemacht. Sie hat nicht verstanden, warum ich Kunst gemacht habe. Sie konnte nicht verstehen, wer diese Art der Arbeit kaufen sollte und wie man damit Geld verdienen könne. Für mich ist Kunst mein Leben. Ich könnte meine gesamte Zeit damit verbringen.
Wie hat dein Interesse an der Kunst begonnen?
Ich habe schon immer gerne Gedichte gelesen und gezeichnet. Rückblickend weiß ich nicht immer ganz sicher, was wirklich so gewesen ist und was ich vielleicht nur geträumt habe oder mir vorstelle. Aber eines Tages habe ich, ob nun im Traum oder in Wirklichkeit, gesehen, wie mein Bruder eine Holzfigur gestaltet hat. Ab diesem Moment habe ich angefangen, mich für die Herstellung von Holzfiguren zu interessieren. Von diesem Tag an habe ich Figuren gezeichnet, angefangen mit dem Material Holz zu arbeiten und Gedanken dazu aufzuschreiben. Für andere Kinder war das, was ich gemacht habe, etwas für Mädchen.
Welche Werkzeuge hast du für die Bearbeitung der Holzteile verwendet?
Ich hatte nur einige kleine Werkzeuge und eine Axt, die ich vor dem Krieg auf einem Flohmarkt in Sarajevo gekauft hatte.
Wo und wie hast du angefangen, Kunst zu studieren?
Ich habe Kunst an der Akademie der Künste in Sarajevo studiert, wo ich neben dem eigentlichen Studium auch Literatur und Philosophie studieren musste, so dass ich viel über Kunstgeschichte gelernt habe. Ich denke, dass Künstler generell viel über diese Themen wissen sollten.
Wie genau ich dazu kam, Kunst zu studieren, war eine sehr seltsame Geschichte.
Ich habe fünf Jahre lang den Krieg in Jugoslawien, in Bosnien, in meinem Heimatland Bosnien, erleben müssen. Ich war dort die ganze Zeit im sogenannten Kessel gefangen, sehr nah an der Grenze zu Serbien – ohne Essen, ohne Trinken. Das Dort in dem ich damals lebte heißt Jarovići. Es ein kleines Dorf in Go- ražde, wo ich mit meiner Familie praktisch die ganze Zeit in unserem Haus gefangen war. Zwar konnten wir in unserem Dorf bleiben, doch wussten wir, dass eines Tages die Soldaten kommen und uns aus dem Haus holen könnten. Mein Bruder und ich hatten damals große Angst, dass die Armee uns holen würde. Daher haben wir uns immer wieder im Wald versteckt.
Als endlich der Friedensvertrag unterzeichnet wurde, fühlte man sich etwas sicherer aber viele Leute dachten auch damals noch, dass sich durch die Unterzeichnung nichts geändert hatte und befürchteten, dass es lediglich eine kleine Pause innerhalb des Krieges sein könnte. Damals war alles sehr chaotisch: Die Leute rannten von hier nach dort, aber niemand wusste, in welche Richtung man wirklich wollte. Nach vier Jahren Leben im Kessel hatten wir keine Orientierung mehr, jeder wollte raus aus der Stadt, aber man konnte nicht raus, weil es keinen Fluchtkorridor gab.
Einige Monate nach Kriegsende wusste ich noch nicht genau, wie mein Leben nun weitergehen sollte. Ich war im Hause als mein Vater von draußen hereinkam. Es ging ihm nicht gut, er weinte und wollte allein sein, also beschloss ich, nach Gorazde zu gehen. Auf dem Weg dorthin überquerte ich eine Brücke (man sieht, wie wichtig Brücken sind). Ich ging also über die Brücke und auf der anderen Seite traf ich einen alten Lehrer von mir. Er fragte mich: „Mirsad, was wirst du jetzt tun?“ Er war einer derjenigen, die immer daran interessiert waren, was seine Schüler nach dem Krieg tun würden. Ich antwortete ihm, dass es das Beste wäre, nach Sarajevo zu gehen und dort Jura zu studieren. Er antwortete mit: „Mirsad, du musst Kunst studieren. Du bist ein Künstler!“ Ich sagte ihm, dass es schon zu spät sei, dass die Zeit für die Aufnahmeprüfung schon vorbei sei und, dass diejenigen, die Kunst studierten, junge Leute reicher Eltern seien. Ich war überzeugt, keine Chance zu haben, da sie jedes Jahr nur fünf Leute an der Uni nahmen. Es war ein internationales Studium, bei dem fast ausschließlich Leute aus Serbien und Kroatien angenommen wurden. Mein Lehrer aber entgegnete mir, dass ich nach Sarajevo gehen und dort das Examen machen solle. Er bestätigte mich in meinem Wunsch, Kunst zu studieren.
Das änderte meine Meinung und ich beschloss, nach Sarajevo zu fahren. Ich ging also zum Busbahnhof und sah nach, ob es einen Bus nach Sarajevo gab. Damals gab nur einen Bus pro Tag. Der Bus musste von einem Militärkonvoi begleitet werden, der aus Amerikanern oder Italienern bestand. Viele Menschen hatten Angst, mit dem Bus zu fahren, die oft nicht ihr Ziel erreichten, weil sie unterwegs angegriffen wurden. Es schien, als ob sie an der Hochschule auf mich gewartet hätten, so dass ich mich für die Prüfung anmelden und diese eine Woche später ablegen konnte. Dazu musste ich zeigen, was ich bisher für künstlerische Arbeiten gemacht hatte. Wegen des Krieges hatte ich einige meiner Skulpturen aus Holz im Wald, in der nähe meines Hauses, vergraben, damit diese, sollte das Haus getroffen werden, nicht zerstört worden wären. Ich musste also nach Hause zurückkehren, um zu sehen, ob meine alten Arbeiten noch dort waren, wo ich sie vergraben hatte. Ich hatte sie in Plastik eingerollt und fast alle zusammen unter einem Baum vergraben. Ich dachte, wenn es regnet, wären sie so ein wenig mehr geschützt. Als ich sie ausgrub, gab es nur ein Stück, das ein wenig verschimmelt war, alles andere war in Ordnung.
Ich habe meine Sachen dann nach Sarajevo an die Kunsthochschule gebracht, damit ich sie vorzeigen und die Aufnahmeprüfung ablegen konnte. Sie glaubten mir nicht, dass ich noch nie studiert hatte, denn für sie sahen meine Arbeiten bereits sehr gut aus.
Hattest du genug Geld für den Transport deiner Arbeiten in die Hauptstadt und den Beginn deines Studiums oder wie hast du dich finanziert?
Vor dem Krieg hatte mein Vater ein paar Tabakpflanzen erworben und während des Krieges war der Tabak sehr begehrt. Menschen haben für dieses Zeug getötet. Ich nahm also ein Kilo Tabak, den mein Vater gesammelt hatte und verkaufte es an einen Cousin, von dem ich wusste, dass er Zigarren verkaufte. Er gab mir damals 1000 Mark dafür. Damals war Geld nichts wert, ich behielt das Geld für Notfälle und als der Krieg zu Ende war, war es dieses Geld, mit dem ich mein Studium in Sarajevo begann.
Was ist mit eurem Haus in Sarajevo passiert? Hat es den Krieg überstanden?
Wir hatten Glück. Unser Haus wurde nicht niedergebrannt. Es hatte lediglich zwei Raketeneinschläge in den Wänden erlitten. Nach dem Krieg lebten meine Eltern noch 22 Jahre dort. Es war wirklich Glück, dass das Haus nicht zerstört wurde, denn es lag zwischen zwei Fronten und das Haus unserer Nachbarn wur- de getroffen und komplett zerstört. Heute gibt es das Haus immer noch, aber niemand wohnt mehr dort. Mein letzter Besuch dort war, als meine Mutter starb.
Du konntest also die Aufnahmeprüfung an der Universität ablegen?
Am Tag der Prüfung hatte ich unglaubliche Angst und keinerlei Erwartungen. Es gab junge Leute aus Belgrad und anderen großen Städten, die bereits Kunst studiert hatten und über mehr Wissen verfügten als ich. Ich wusste, dass ich hart arbeiten musste, um überhaupt eine Chance zu haben. Am Tag der Prüfung mussten wir ein Porträt aus Ton modellieren und bekamen dafür alles, was wir zum arbeiten brauchten. Zu Beginn der Prüfung fragte ich, wie ich die Aufgabe angehen, mit welchem Material und welchen Werkzeugen ich arbeiten sollte. Die Prüfer dachten, ich mache Witze aber in Wirklichkeit wusste ich nicht, wie ich es machen sollte. Ich begann also zu beobachten, wie die anderen Bewerber es machten. Letzten Endes machte ich das Porträt einfach mit meinen Händen, ohne Hilfe von Werkzeugen. Ich erinnere mich, dass ich für das Porträt etwa eine Stunde lang gebraucht habe. Für mich war es eines der besten Porträts, die in dieser Prüfung entstanden sind.
Wie war der Beginn deines Studiums? Wo hast du gewohnt?
Zu Beginn meines Studiums wohnte ich zusammen mit meinem Bruder, der mit nach Sarajevo gekommen war, in einem Keller. Dort war es sehr dunkel. Es gab überall Schimmel, die Wände waren fast vollständig grün. Es gab Mäuse. Ich konnte nicht einschlafen und dabei einen Apfel auf dem Tisch liegen lassen, sonst hätten die Mäuse ihn gefressen. Im zweiten Semester habe ich versucht, etwas Geld neben dem Studium zu verdienen. Zuerst habe ich versucht, Bilder gegen Brot oder etwas anderes einzutauschen, aber das hat nicht funktioniert.
Hattest du ein gutes Verhältnis zu den anderen Studierenden?
Am Anfang des Studium saß ich in einer Ecke und redete mit niemandem und niemand redete mit mir. Das war aber keineswegs schlimm. Auf diese Art konnte ich mich von sieben Uhr morgens bis zum späten Abend an der Universität auf meine Kunst konzentrieren. Es dauerte eine Weile, bis ich mich dann doch mit einigen meiner Mitstudierenden angefreundet habe.
Ich nehme an, das Geld, das du hattest, war nur für den Anfang deines Studiums. Musstest du dir einen Job suchen, um dein Studium fortzusetzen?
Ein halbes Jahr nach meine StuduimIn der Stadt gab es eine kleine Galerie, in die ich meine Bilder brachte. Der Besitzer sagte zu mir: „Ich habe schon viele und ich glaube nicht, dass sich deine Bilder hier verkaufen lassen, aber stell sie in eine der Ecken und lass mir Deine Telefonnummer hier. Wir werden es eine Woche lang versuchen.“
Ich ging und nur 30 Minuten später rief er mich an und sagte: „Mirsad, deine Bilder wurden alle gekauft. Kannst du mir mehr vorbeibringen?“ Ich war sehr überrascht.
Es waren solche Momente, in denen mein Optimis- mus zurückkehrte. Ein anderer Moment an den ich mich noch gut erinnere war, als ein deutsches Ehepaar mich an der Universität aufsuchte, das schon vorher in der Galerie Bilder von mir gekauft hatte. Sie haben dann tatsächlich noch 12 Bilder von mir gekauft. Vielleicht haben sie damals umgerechnet 150 Euro für jedes Werk bezahlt. Für sie war das ein Witz aber ich war heilfroh, dass sie direkt zu mir kamen, sonst hätte ich 50% an die Galerie abgeben müssen. So konnte ich ein ganzes Jahr lang unbesorgt arbeiten.
Mit diesem Geld und dem anderen Geld, das ich für meine Bilder in der kleinen Galerie bekam, konnte ich überleben und mein Atelier weiterführen. Ich zog in einen anderen Keller um, aber dieses Mal in einen besseren, in dem ich gut leben konnte. Es war wieder ein Keller, weil ich zwar anfing Geld zu verdienen aber sparen wollte, um mehr zu verdienen. Außerdem war mir klar, dass ich später meine Eltern unterstützen wollte.
In welchem Jahr bist du nach Bremen gekommen? 2003.
Wie war die Umstellung vom Kunststudenten in Sarajevo zu deiner Zeit in Deutschland?
In Sarajevo an der Kunsthochschule war das Leben mit den anderen Künstlern sehr angenehm. Wir haben uns immer gefreut, wenn jemand erfolgreich war. Hier in Deutschland wurde immer darum ge- kämpft, der Beste zu sein. Es gab eine Menge Konkurrenz. Deutsche Studierende sagen oft, sie seien die besten der Welt.
Wie hast du deine Karriere als Künstler in Deutschland begonnen?
Als ich in Deutschland ankam, konnte ich keine oder nur sehr schlecht bezahlte Jobs bekommen und natürlich war die Sprache ein Problem. Ich hatte zu Beginn dann gleich mehrere Jobs: auf dem Bau, in der Reinigung und in vielen anderen Bereichen, in denen man etwas Geld verdienen konnte. Zu dieser Zeit hatte ich bereits eine Familie und dementsprechend hohe Ausgaben.
Konntest du neben deiner Arbeit weiterhin Kunst machen? Hast du ein Atelier in Bremen zu dieser Zeit gehabt ?
Damals hatte ich mein erstes Atelier, das ich von einem Freund bekam, der mir sagte, dass es in der Umgebung des Hafens leere Räume zu mieten gäbe. Ich mietete eine 120 m2 große Wohnung für umgerechnet 250 Euro pro Monat aber ich konnte nicht oft hingehen, um meine Projekte zu verwirklichen, da ich nach den anderen Jobs, die mir Geld einbrachten, zu müde war. Nach und nach wurde es besser, ich begann einige Arbeiten zu verkaufen, aber zu Beginn waren es nicht wirklich viele.
Ich wusste nicht, wie die Arbeit als Künstler in Deutschland funktioniert. Zuerst war ich sehr stolz, weil ich in meinem Land schon erfolgreich war. Dann kam ich hierher und habe mit vielen Galerien gesprochen, von denen mich leider viele abgelehnt haben. Sie sagten, wenn ich noch warten würde, könnte ich vielleicht in zwei Jahren eine Ausstellung haben, aber niemand wollte mir eine feste Zusage machen.
Ich hatte immer noch Kontakt zu der kleinen Galerie in Sarajevo, so dass ich meine Arbeiten manchmal nach Sarajevo brachte und sie dort verkaufen konnte. Aber was sie bezahlten, 30 bis 100 Euro pro Werk, war für das Leben in Deutschland zu wenig. Außerdem war es viel Arbeit, die Sachen von Deutschland nach Sarajevo zu transportieren. Ich musste damals mehrere Grenzen überqueren: Österreich, Slowenien, Kroatien und dann Bosnien und an jeder Grenze musste man immer vorzeigen, was man transportierte.
Wie kam es dazu, dass du dich entschieden hast, ein zweites Studium in Bremen zu machen?
Eines Tages war ich zufällig bei einer Ausstellung von Studierenden an der Hochschule der Künste in Bremen und sehr überrascht von der Qualität der Arbeiten dort. In mir kam der Wunsch auf, dort erneut studieren zu wollen. Ich sah es als möglichen Einstieg in das deutsche System der Kunstwelt. Ich wollte wissen, was der Unterschied zwischen Deutschland und Bosnien war. Zuerst habe ich ein Semester als Gaststudent absolviert und dann an Mirsad in seinem Atelier. Seine Hauptprojekte sind Skulpturen aus Eisen.
gefangen, voll zu studieren. Die Sprache ist immer noch schwierig und um Kontakte zu knüpfen, muss man immer reden und Leute treffen. Ich bin jemand, der gerne viel Zeit allein verbringt. Was ich verstan- den habe, ist, dass man immer arbeiten muss, egal was passiert.
Hast du damals ein Atelier an der Universität oder außerhalb der Universität gehabt?
Während meines Studiums in Bremen habe ich in der Metallwerkstatt angefangen, Metallbäume zu machen aber man sagte mir, dass ich mit diesem Material nicht weiterarbeiten könne, weil es giftig und der Geruch zu stark sei und ich brauchte sehr viel Platz für diese Art der Arbeit. Die Universität hatte einige Ateliers in der Nähe der Universität, wo ich weiter an den Bäumen arbeiten durfte. Dort habe ich dann bis zum Ende meines Studiums gearbeitet.
Wie bist du zu deinem jetzigen Atelier gekommen?
Ich habe das Atelier zufällig bekommen. Auf meiner Suche nach einem geeignetem Ort habe ich mir eine 300 m2 große Halle angesehen, die damals neu war und leer stand. Allerdings war diese Räumlichkeit wirklich viel zu groß für mich und ich durfte dort auch nicht nach meinen Vorstellungen umbauen. Der Besitzer erzählte mir, dass er noch eine andere Werkstatt habe, die aber in einem schlechten Zustand sei und vielleicht abgerissen werde, weil die Renovierung zu viel kosten würde. Wir schauten uns dann diese Werkstatt an und mir war sofort klar: Ich möchte diesen Raum haben. Es war der perfekte Ort für mich. Er liegt in der Nähe des Zentrums in ei- nem Industriegebiet. Man konnte dort alles machen und niemand stört einen und gleichzeitig ist die Verkehrsanbindung an die Stadt sehr gut.
Dann galt es aber erst einmal die Eigentümer davon zu überzeugen, mir zu vertrauen. Das war als Künstler gar nicht so einfach, da sie eine schlechte Vorstellung von dieser Berufsgruppe hatten. Die üblichen Klischees eben: Viel Drogen, kein Geld und wenn man diese Leute erst einmal reinlässt, bekommt man sie später nicht mehr raus. Schließlich konnte ich sie aber überzeugen und sie gaben mir die Möglichkeit, die Räumlichkeiten zu mieten und auf die Frage was ich dort vorhabe antwortete ich ihnen: „Ich werde hier ein Paradies erschaffen.“
Am Anfang habe ich einige Zimmer an zwei andere Künstler vermietet, aber nach einer Weile wollten sie nicht mehr, es war zu kalt und die Räume zu baufällig. Sie verstanden nicht, wie ich dort arbeiten und leben konnte, und so begann ich nach und nach mit der Renovierung.
In diesem Atelier konnte ich am Anfang nicht heizen. Es gab keine Heizung, es gab keine Dämmung und entsprechend warm musste ich mich anziehen, um hier arbeiten zu können. Es war wirklich verdammt kalt hier. Aber trotzdem kam ich jeden Tag für vielleicht 15 Stunden hier her, so, wie ich es auch heute noch tue.
Ich verbringe viel Zeit im Atelier, aber das muss auch so sein. Die Ideen wollen schließlich raus und ich muss sie umsetzen. Wenn ich ein paar Tage nicht im Atelier arbeite, fühle ich mich verloren. Ich verbringe fast den ganzen Tag im Atelier, deshalb habe ich es renoviert und zu einer Art Wohnung umgebaut. Das hat ein paar Jahre gedauert. Jetzt habe ich seit drei Jahren sogar einen Holzofen.
Hat dein Atelier eine besondere Bedeutung für dich?
Das Atelier ist für mich wie ein Teil meines Körpers. Sowohl ich bin im Atelier als auch das Atelier in mir.
Das ist unglaublich wichtig für mich. Ich bin schließlich jeden Tag hier und habe mir mittlerweile eine Art privates Zimmer in einem der oberen Räume eingerichtet, wo ich wohnen kann. Früher habe ich bei meiner Familie gelebt, bevor ich mich getrennt habe und anschließend beschlossen, hier zu leben. Viele Menschen, die meine Arbeit kennen oder sich für sie interessieren, wollen wissen, wo ich arbeite und ich habe das Glück, so viele nette Menschen zu treffen.
Der Vorteil meines Ateliers ist, dass ich viele Leute einladen und mit ihnen in Kontakt treten kann, vor allem Leute, die sich für Kunst und Theater interes- sieren. Das war von Anfang an die Idee: Diese Ateli- erzeit zu haben, um mit Leuten in Kontakt zu treten. Der Nachteil ist, dass ich selbst nicht der Eigentümer des Hauses bin und deshalb nicht langfristig träumen kann.
Was ist für dich wichtiger: Der Prozess oder das Endprodukt?
An diesem Punkt in meinem Leben ist mir der Prozess wichtig. Es ist fast so, als befände ich mich in einer Art sexueller Erregung. So würde ich es beschreiben, wenn es um den Prozess meiner Arbeit geht. Das Ergebnis kann abstoßend sein und gleichzeitig kann ich Liebe für dieses Stück empfinden. Es kann sein, dass ich, wenn ich eine Arbeit beende, ein sehr unangenehmes Gefühl empfinde. Dann bewahre ich sie an einem Ort auf, an dem ich sie nicht se- hen kann, mit einer Decke abgedeckt, steht sie dann vielleicht ein halbes Jahr einfach in der Ecke.
Nur sehr wenige Menschen wollen wissen, wie der Arbeitsprozess abläuft. Aber viele Menschen kommen in mein Atelier, um meine Arbeit zu sehen und
viele von ihnen haben eine emotionale Verbindung zu ihr. Aber ich habe auch das Gefühl, dass viele es den Menschen heute nicht leichtgemacht wird, Gefühle zu zeigen und zu haben.
Was es bedeutet es für Dich, berühmt zu sein?
Was es bedeutet, berühmt zu sein? Lange Zeit dachte ich, dass Geld im Leben keine Rolle spielt. Aber ich musste verstehen, dass Geld etwas ist, was uns Freiheit gibt und mit vielen anderen Dingen zusammenhängt. Ich habe nie an Ruhm gedacht, für mich war es nur notwendig, um meine Ideen und Träume, die ich hatte, verwirklichen zu können. Für mich ist das Wort Ruhm sehr seltsam. Ruhm bedeutet, eine Show zu machen. Aber ich bin kein Showman, ich bin kein Schauspieler. Ich tue, was ich tun muss. Ich habe mir den Weg des Künstlers nicht ausgesucht, der Weg hat mich gewählt.
Text: Janine Ahmann
Bilder: Irving Villegas
Janine Ahmann, geboren 1990, studierte Philosophie, Germanistik und Kulturpoetik der Literatur und Medien in Münster und Venedig sowie Deutsch als Fremdsprache über das Goethe Institut. Seit 2010 war sie in verschiedenen Positionen am Theater und an der Universität Münster tätig, kuratierte die Bereiche Musik und Bildende Kunst bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen und war von 2020-2023 als Referentin der Intendantin an der Staatsoper Hannover beschäftigt. Seit Beginn ihres Studiums liegt ein Fokus ihrer Tätigkeit auf dem Verfassen wissenschaftlicher, literarischer und journalistischer Texte. Zusammen mit Irving Villegas veröffentlichte sie zuletzt 2021 die Geschichte über die Einsamkeit während der Corona-Pandemie in Mexiko in der Chrismon Magazin.
Irving Villegas, geboren 1982 in Mexiko geboren, hat Fotojornalismus und Dokumentarfotographie an der Hochschule Hannover University of Applied Sciences and Arts studiert. Derzeit pendelt er zwischen Hannover und Berlin. Arbeiten von ihm wurden in verschiedenen Magazinen und Zeitungen wie etwa The New York Times, The Guardian, Der Spiegel, 6 mois, Huffington post, Fluter, Chrismon, Hannoversche Allgemeine Zeitung veröffentlicht.